Kunst muss überhaupt nichts und darf alles!

29. Oktober 2018
Various & Gould, Heroes, 2017

Das Magazin Supernova hat das Künstlerduo Various&Gould interviewt. Die Gewinner unseres Kunstwettbewerbs geben einen schönen Einblick in ihre künstlerische Arbeit, Politik in der Kunst und die Vergänglichkeit von Urban Art.

 

Das Künstlerduo Various&Gould arbeitet seit 2005 zusammen und das vor allem auf der Straße. Gemeinsam haben die beiden die Liebe zum Papier. Sie widmen sich sozial relevanten Themen wie Arbeit, Migration, Gender, Tod, Globalisierung oder Finanzkrise. Kürzlich wurde ihre Collagen-Serie „Rabotniki“ (Arbeiter) ausgezeichnet. Mit dem Künstler Gould sprach Supernova darüber, ob Arbeit eher Hamsterrad bedeutet oder doch Selbstverwirklichung und ob Urban Art kurz vor dem Sell-Out steht.

 

Vor Kurzem wart Ihr in Cottbus an einer Demo gegen Rechts mit einer Plakataktion beteiligt. Ist das ein Anspruch, den Ihr an Kunst allgemein habt, muss sie sich aktiv politisch einmischen?

Die Museumsmacherinnen des Kunstmuseums Cottbus haben uns angesprochen, weil sie sich an der Demo beteiligen wollten. Von uns gibt es dort ein paar Werke in der Plakat-Sammlung und die haben wir sehr gerne zur Verfügung gestellt. Aber zunächst würde ich sagen, dass Kunst frei ist, sie muss überhaupt nichts und darf alles.

 

Aber Eure Kunst beschäftigt sich sehr oft mit politischen Themen, statt um sich selbst zu Kreisen.

Dass man unsere Plakate für die Demo benutzen könnte, hat uns als Idee selber überrascht. Zwar arbeiten wir im öffentlichen Raum, was auch bedeutet, dass wir uns mit dem, was wir machen, an die Gesellschaft richten. Aber unsere Arbeiten sind oft ambivalent, weil es nun mal viele Fragezeichen für uns gibt. Ich mag auch die Demoplakate am liebsten, die etwas doppeldeutig sind und mit Sprache spielen. Es gibt aber viele Leute, die sind mit ihrer Kunst noch viel politischer als wir. Ich würde das eher als gesellschaftliche oder soziale Kunst bezeichnen, was wir machen.

Könnte man sagen, dass das Demo-Schild eine eigene Kunstform ist?

Ich würde es nicht ausschließen, aber nicht alle Schilder automatisch so bezeichnen. Es ist auf jeden Fall eine Form der Kommunikation. Ein richtig gutes Plakat und seine Botschaft kann sich über mehrere Demos weiter verteilen. Es wird zu einem Open-Source-Projekt.

 

Die Serie, mit der Ihr beim Kunstwettbewerb des Münzenberg-Forums gewonnen habt, heißt „Rabotniki“ und beschäftigt sich mit dem Sinn von Arbeit. Zu welchem Schluss seid Ihr gekommen?

Zuerst ist es natürlich offensichtlich, dass sich Arbeit verändert hat. Früher gab es Gasriecher, die gerochen haben, ob es irgendwo ein Leck gibt. Es gab Laternenanzünder und Menschen, die bei der S-Bahn das Fahrtziel auf Schildern angezeigt haben. Jede Entwicklung lässt neue Arbeit entstehen und alte verschwinden. Das fanden wir spannend. Hinzu kommt, das Arbeit einem in der Gesellschaft eine bestimmte Rolle zuweist. Den Eltern gegenüber sagt man dann, es laufe alles super, dabei steht man, um über die Runden zu kommen, neben dem Studium abends hinter der Bar oder sitzt im Callcenter und ist einfach nur ein Zahnrad im System. Und eigentlich will man doch einfach nur Kunst machen. Man spielt immer verschiedene Rollen und das kann die Collage sehr gut ausdrücken.

 

Ist das der Grund, warum ihr viel mit dieser Methode arbeitet?

Wir arbeiten beide total gerne mit Papier. Wir haben schon früh, unabhängig voneinander, Sachen zerschnippelt und neu zusammengesetzt. Die Collage hat zunächst mal keine Handschrift. Wenn zwei Leute zusammenarbeiten, dann ist die Collage ein super Mittel, um miteinander zu kommunizieren und zu einer Form zu finden. Künstlerisch gibt es kein „ich bin da nicht gut drin, ich kann das nicht“. Assoziationen und Bezüge kann man blitzschnell herstellen und kann Dinge aus dem Kontext reißen und neu zusammensetzen.

 

Wie verhandelt ihr, wie das Kunstwerk am Ende aussehen soll?

Ziel ist ja nicht der größtmögliche Kompromiss. Wir wollen eine starke Arbeit schaffen, die eine Dringlichkeit hat. Dann handelt man das so lange aus, bis es passt. Wir arbeiten seit fast 14 Jahren zusammen.

 

Die Serie „Rabotniki“ setzt sich seit fast zehn Jahren immer weiter fort. Hat sich Euer Blick auf Arbeit seitdem verändert?

Wir arbeiten inzwischen sehr viel abstrakter als noch am Anfang. Das hat auch damit zu tun, dass die Arbeitswelten heute immer komplexer werden. Es gibt App-basierte Fahrdienste wie Uber oder Essenslieferdienste auf dem Fahrrad, Menschen arbeiten für ein Unternehmen, sind aber bei einem Subunternehmen angestellt.

 

Ist Arbeit für Euch ein positiv besetzter Begriff?

Arbeit ist ein vielseitiger Begriff. Die Kunst, die wir machen, bezeichnet man ja auch als Arbeiten. Klar ist das positiv belegt. Auf der anderen Seite bedeutet Arbeit aber auch immer eine Bewertung der Person. Was jemand arbeitet, ist mit Wertungen verbunden. Menschen, die keine Arbeit haben, fallen total durchs Raster und selbst in denen steckt oder steckte dieses Raster einmal drin, dass sie angeblich nur etwas zählen, wenn sie arbeiten. Das ist sehr problematisch. Und wenn du mehrere Mini-Jobs machst, um deine Miete zu bezahlen, dann ist klar, dass Arbeit kein positiver Begriff für dich ist.

 

Könnt Ihr von Eurer Kunst leben?

Ja, wir sind in der glücklichen Position. Wir geben Workshops, sind in Ausstellungen vertreten, bekommen externe Aufträge.

 

Darf man Eure Kunst als Urban Art bezeichnen oder ist das mittlerweile eine Beleidigung?

Von allen Begriffen, die es für diese Kunst gibt, ist mir Urban Art noch am liebsten. Street Art ist schon länger ein ausgehöhlter Begriff. Aber auch Urban Art ist auf dem Weg dahin. In der Szene wird viel über die fortschreitende Eventisierung von Urban Art diskutiert. Am Ende geht es jedoch nicht um die Benennung, sondern um das Konzept der jeweiligen Kunst.

 

Wo siehst Du die Urban Art in fünf Jahren? Mittlerweile werden zerschredderte Banksys für Millionen versteigert. Oder kann sich die Szene ihren Ursprung bewahren und für alle kostenlos zugänglich bleiben?

Das ist eine schwierige Debatte. Wir sehen uns als Vollzeitkünstler oder -künstlerinnen. Das heißt, dass wir von irgendetwas leben müssen. Wir müssen irgendein „Geschäftsmodell“ entwickeln. Ich gönne jedem, mit seiner oder ihrer Kunst, Geld verdienen zu können, um weiter Kunst zu machen. Ich sehe das bei uns, dass wir mittlerweile weniger draußen unterwegs sind, weil wir gucken müssen, wie wir unsere Miete zahlen. Mit der echten Urban Art verdient man erst mal kein Geld. Diesen Balanceakt gibt es und wir müssen dann entscheiden, wo wir mitmachen wollen und wo nicht. Und wir müssen dabei auch immer wieder aus Fehlern lernen.

 

Dazu gehört auch, dass es mittlerweile ein Street Art Museum in Berlin gibt. Ist das nicht merkwürdig, Straßenkunst in vier Wände zu sperren?

Genau genommen ein Urban Art Museum. Wir haben dort schon mit ausgestellt finden und finden es legitim, als Künstler aus diesem Bereich auch im geschlossenen Raum auszustellen. So sehr einen die Straße befreit, muss der Innenraum nicht automatisch ein Gefängnis sein. Man sollte aber bei dem weltweiten Hype genau hinschauen, wie Ausstellungen geplant und gelabelt werden. Der Begriff Street Art war da immer schon problematisch für, weil Straße Draußensein bedeutet. Abgesehen davon, kann es höchst spannend sein, wenn Urban-Art-Künstlerinnen mit ihren speziellen Erfahrungen und Skillz in den Innenraum gehen, um dort etwas Neues zu schaffen. Da muss nicht gleich reflexhaft in die Sell-Out-Tröte geblasen werden. Künstlerinnen und Künstler haben sich immer mit Widersprüchlichkeiten und Unschärfen auseinanderzusetzen. Und schafft man es, aus der einen Schublade herauszuspringen, landet man schon in der nächsten. Wir beide möchten uns in Zukunft darauf fokussieren, nur noch in Kontexten zu mitzuwirken, in denen es wirklich um die Kunst geht.

 

Wie ist es mit der Vergänglichkeit Eurer Kunst. Kein Problem damit, dass ein Werk in zwei Wochen schon übermalt sein könnte?

Vergänglichkeit ist eine stete Begleiterin. Auch wenn es manchmal schwer fällt, finden wir es wichtig, als Künstler oder Künstlerin nicht zu sehr am einzelnen Werk zu klammern. Die Vergänglichkeit ist eher eine Freundin als eine Gegnerin für uns.

 

Die Ausstellung „Denn die Verhältnisse, sie sind nicht so“ zeigt noch bis zum 31. Oktober die prämierten Fotoserien, Collagen und Filme aus dem Kunstwettbewerb des Willi-Münzenberg-Forums (Ausstellung im Foyer des FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin). Various&Gould haben mit ihrer Serie „Rabotniki“ in der Kategorie Collage den ersten Preis gewonnen.