Europäischer Monat der Fotografie im FMP1

27. September 2016

Alles in schönster Ordnung

Im Juni 1933, Hitler und seine NSDAP hatten in Berlin gerade mit Reichstagsbrandverordnung und Ermächtigungsgesetz ihren Staatsstreich scheinlegitimiert, greift in Prag John Heartfield zur Schere und montiert in Reaktion auf die gleichzeitig in London stattfindende Weltwirtschaftskonferenz seine Collage `Alles in schönster Ordnung`. Sie erscheint am 29.06.1933 in Nr. 25/33 der `ArbeiterIllustriertenZeitung`(AIZ). Für die AIZ ist zu diesem Zeitpunkt nichts mehr in alter Ordnung. Der herausgebende Verlag, der Neue Deutsche Verlag, und seine Publikationen wurden verboten, Geld- und Sachwerte beschlagnahmt. Die letzte in Berlin Ausgabe: „Arbeiter, Bauern, Angestellte in einer Reih für Liste 3“ erscheint am 05. März und muss bereits illegal vertrieben werden. Bereits wenige Wochen später versuchen geflüchtete Redakteurein der Prager Emigration die Arbeit an ihrer Illustrierten fortzusetzen. Zu diesen gehört auch Heartfield. Am 10. Mai liefert er erstmalig im Exil mit `Durch Licht zur Nacht` seinen Kommentar zur aktuellen deutschen Entwicklung ab. Die Unterzeile heißt: „Also sprach Dr. Goebbels: Lasst uns auf`s neue Brände entfachen, auf dass die Verblendeten nicht erwachen.
“ Von da an werden bis 1938 seine Collagen noch stärker das Gesicht der AIZ prägen. Nur illegal finden die Ausgaben noch den Weg ins Reich. Die größte Aufmerksamkeit der Redaktion und ihrer Gestalter gilt der Entwicklung in Deutschland. „Alles in schönster Ordnung“ unterscheidet sich scheinbar von den Arbeiten Heartfields vom Frühjahr bis Ende 1933. Die Collage zeigt Teilnehmer der Weltwirtschaftskonferenz, den englischen Premier, seinen Schatzkanzler und den amerikanischen Außenminister bei einem Bankett. Sie lesen ein Zitat des sozialistischen Ministerpräsidenten Frankreichs. Es dokumentiert die Zufriedenheit mit den Fortschritten der Konferenz. Dagegen montiert Heartfield im Hintergrund ein Chaos aus Baufälligkeit und Schutt, eine in sich zusammenstürzende Welt. Ende Juli endet die Konferenz ohne Ergebnis. Der Tagungsort wird 1935 wegen Bauschäden abgerissen.

Taugt diese Vorgeschichte aus dem Jahr 1933 für einen Fotowettbewerb 2016?

Wer zeitgenössische Berichte zur Konferenz liest, fühlt sich an die Gegenwart erinnert. Die langanhaltenden Wirkungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 – Massenarbeitslosigkeit, Hunger, Überproduktion, Warenvernichtung, Zerrüttung des Geldkreislaufes – werden zum Spielball nationaler Egoismen. Diese lassen die Konferenz scheitern. Zur gleichen Zeit stabilisiert sich die faschistische Macht in Deutschland und es formieren sich andere chauvinistische Bewegungen in Europa. Nein das Jahr 2016 ist nicht 1933. In Europa gibt es keine faschistische Regierung. Trotzdem, offene Grenzen schließen sich. Rechte, offen demokratiefeindliche Bewegungen formieren sich. Reaktionäre, nationalistische Politiker und Parteien werden in Parlamente und Regierungen gewählt oder greifen nach diesen. Die Zahl der Geflüchteten in der Welt erreicht einen historischen Höchststand. Nachwirkungen der Finanzkrise spalten Europa. Ein Gipfel folgt dem nächsten, auch beherrscht von nationalen Egoismen. Sie liefern den Vordergrund für eine aus den Fugen geratende Welt. Nichts ist in schönster Ordnung.

„Benütze Foto als Waffe“

Die AIZ hatte bereits in den zwanziger Jahren auf Initiative Willi Münzenbergs aus finanziellen Gründen und Mangel an Bildern aus dem realen Leben der arbeitenden Bevölkerung die „Arbeiterfotografie“ als Quelle ihrer Bildgestaltung entdeckt und solche Fotografen unterstützt. Unter der Losung „Benütze Foto als Waffe“ hat sie diesen die Plattform ihrer Zeitung gegeben. Die Fotografie war zu diesem Zeitpunkt noch nicht massentauglich: Die Produktion war aufwendig und teuer. Das setzte enge Grenzen für Hobbyfotografen. Aber die Themen der AIZ wurden Arbeitsschwerpunkte für eine neue Generation von professionellen Fotografen. Ihr Blick auf Demonstrationen, Streiks, Industrie, Landschaften, Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitern, Bauern und Angestellten in der Welt prägte fortan das Bild der zwanziger und dreißiger Jahre eigenständig und unabhängig vom Text mit. Sie trugen wesentlich zum Erfolg der AIZ bei. Die Bilder wurden darüber hinaus Vorlagen der Montagen von Heartfield u.a. in der Zeitung und entfalteten so eine noch größere Wirkung. Themen und Bildsprache der AIZ-Fotografen haben nachfolgende Generationen von Fotografen bis in die Gegenwart mitgeprägt.  Heute sind die technischen und wirtschaftlichen Grenzen, durch Smartphone oder Digitalkameras, nahezu aufgehoben. Eine Flut des Dokumentarischen ergießt sich täglich über alle möglichen Kanäle über uns. Nahezu jeder Moment und jede Lebenswelt wird in stehende und dauerhaft verfügbare Bilder gegossen.

Fotografischer Blick auf das Zeitgeschehen

Für das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 ist seine diesjährige Teilnahme am Europäischen Monat der Fotografie Anlass, an dieser Tradition der AIZ anzuknüpfen. Mit dem „BENÜTZE FOTO ALS WAFFE“-Wettbewerb wendet sich das Forum an Fotograf_innen unterschiedlichster Professionalität mit der Bitte um ihren jeweiligen Blick auf das Zeitgeschehen. Die Heartfieldsche Collage `ALLES IN SCHÖNSTER ORDNUNG` ist für diesen Wettbewerb Rahmen und Reibungsfläche zugleich.  Das MÜNZENBERG FORUM BERLIN wird in der Ausstellung alle Einsendungen mosaikartig zu einem gemeinsamen Kommentar montieren. Eine dreiköpfige Jury unter Leitung von Christian Mang – Preisträger der Rückblende 2015 – wird die Fotos auswählen, die einzeln in der Ausstellung gezeigt werden. Die besten Arbeiten werden mit dem `BENÜTZE FOTO ALS WAFFE`-Preis 2016 prämiert.

Am 11.10.2016, 19.00 Uhr, erfolgt die Auszeichnung der Preisträger im Münzenbergsaal des FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin.

Die Veranstaltung ist Anlass für eine Rede Gregor Gysis, MdB und ehemaliger Vorsitzender der Bundestagsfraktion der `DIE LINKE´, zur Lage in Europa.

„Erobert den Film“

Parallel und ebenfalls unter der Überschrift `ALLES IN SCHÖNSTER ORDNUNG` hat das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 in diesem Jahr zum zweiten Mal den Filmwettbewerb `EROBERT DEN FILM´-Preis ausgelobt. Die Jury aus Peter Badel – Professor für Cinematography an der Filmuniversität Konrad Wolf Babelsberg – und Knut Elstermann – Filmkritiker, Radio eins – wählen aus den Einsendungen die besten Arbeiten aus. Diese werden am 18.10.2016, 19.00 Uhr, im Münzenbergsaal des FMP1, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin prämiert. Anschließend spielt die Berliner Band Apparatschik ein Konzert.

Die eingesandten Filme werden im Rahmen der Ausstellung `ALLES IN SCHÖNSTER ORDNUNG` zum Europäischen Monat der Fotografie im Foyer des FMP1 gezeigt. Bei der ersten Auflage des Filmpreises im Rahmen des I. Internationalen Willi Münzenberg Kongresses im September 2015 nahmen Studierende der Filmuniversität Konrad Wolf Babelsberg für ihre unterschiedlichen Filme über Flüchtlinge, deren Fluchtwege und Lebensverhältnisse in Deutschland 2015, Pegida-Demonstrationen in Dresden sowie über den Konflikt in der Ukraine den Preis entgegen. Filme, die sie unabhängig von Studienalltag und mit hohem eigenen, persönlichen und finanziellen Einsatz produzierten. Filme, die 25 Jahre nach dem stürmischen Herbst 1989 an die damaligen intensiven Arbeiten Studierender der Filmhochschule unter Leitung von Lothar Bisky anknüpften.

Film und Münzenberg

Mit `EROBERT DEN FILM´ bezieht sich das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 auf einen gleichnamigen Artikel Willi Münzenbergs aus dem Jahr 1925. Münzenberg hatte frühzeitig die Wirkung stehender und laufender Bilder für die Information und Aufklärung der Massen erkannt. Im Aufsatz heißt es: `Die revolutionäre Arbeiterbewegung hat deshalb das größte Interesse, diesem überaus wichtigen Problem größte Aufmerksamkeit zu schenken und Mittel und Wege zu suchen, um dieses wirkungsvolle, lebendige Mittel  der Propaganda und Agitation in ihren Dienst zu stellen.` Die von ihm, seiner Lebensgefährtin Babette Gross und seinen Mitarbeitern hauptsächlich in Berlin und nach 1933 im Pariser Exil geschaffenen neuen Medien werden heute als bahnbrechende historisch-kulturelle und künstlerische Referenzmuster angesehen. Dazu gehörten auch die ersten proletarischen Filmunternehmen (Prometheus, Weltfilm, Mešrabpom-Filmgesellschaft) auf deutschem Boden. In diesen Filmgesellschaften entstanden zwischen 1921 und 1936 hunderte Filme Dokumentar-, Spiel-, Lehr- und Animationsfilme, darunter solche, die heute noch zum Kanon der Filmgeschichte gehören – wie `Mutter Krausens Fahrt ins Glück` oder `Kuhle Wampe (Brecht/Eisler)`. Die Gesellschaften brachten die bedeutenden sowjetischen Filme wie `Panzerkreuzer Potemkin` (Eisenstein), `Polikuschka` (Sanin) erstmalig in die deutschen Kinos. 2012 widmete die Berlinale der `Roten Traumfabrik` ihre Retrospektive. Mit beiden Wettbewerben bietet das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 in diesem und für die kommenden Jahre eine Plattform für junge Fotograf_innen und Filmemacher_innen und deren Auseinandersetzung mit den Fragen unserer Zeit. Das Forum knüpft damit gleichzeitig an die Traditionen der von Willi Münzenberg begründeten Organisationen, Verlage und Filmgesellschaften an.