Das Münzenberg-Forum im Gespräch

24. März 2014
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Willi Münzenberg spricht am 3. März 1932 im Berliner Sportpalast auf einem Kongress der Internationalen Arbeiterhilfe.

Willi Münzenberg spricht am 3. März 1932 im Berliner Sportpalast auf einem Kongress der Internationalen Arbeiterhilfe.

Am 24. März fand ein Gespräch zwischen der Journalistin Karlen Vesper und den beiden Historikern Uwe Sonnenberg und Bernhard H. Beyerlein statt. An dieser Stelle dokumentieren wir den Artikel von Karlen Vesper.

Er ist wieder da

Ein ehrbares wie ehrgeiziges Unternehmen wurde dieser Tage im Rosa-Luxemburg-Salon der gleichnamigen Stiftung in Berlin vorgestellt. Es soll dazu dienen, eine über Jahrzehnte im Osten als Unperson abgestempelte und im Westen ignorierte historische Persönlichkeit dem Vergessen zu entreißen. Der Kommunist, Agitator, Antifaschist und Verleger Willi Münzenberg ist nun online, im World Wide Web präsent.

Zu danken ist die virtuelle Wiedergeburt zunächst einmal Matthias Schindler, Geschäftsführer der Grundstückgesellschaft Franz-Mehring-Platz 1. Er war der Spiritus Rector. »Vollstrecker« seiner Idee sind die Historiker Bernhard Bayerlein von der Ruhr-Universität Bochum und Uwe Sonnenberg vom Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Vorangegangen ist dem Internetauftritt des Mannes, dessen Geburtstag sich im August dieses Jahres zum 125. Mal jährt, die Gestaltung einer Dauerausstellung im Bürohaus, in dem auch das »neue deutschland« seinen Sitz hat. Sie berichtet »Vom Verschwinden des Willi Münzenberg« und bietet »Fundstücke einer Freilegung«. Als archäologische Bergungsarbeit verstand sich auch eine europäische Arbeitstagung im Herbst 2012. Die damals präsentierten neuen Forschungsergebnisse flossen ein in die Homepage www.münzenbergforum.de, wo auch die Reden nachzulesen sind.

Die Vorstellung der Website war zugleich der Auftakt für die Münzenberg-Lektionen 2014, einer gemeinsamen Veranstaltungsreihe des »nd«, der Rosa-Luxemburg-Stiftung und der Linken Medienakademie LiMA. In deren Rahmen wurde im vergangenen Jahr u. a. an den 40. Jahrestag des Pinochet-Putsches und an die internationale Solidarität mit dem chilenischen Volk erinnert. »Darum machen wir das ja alles – um den Gedanken der Solidarität, für den Münzenberg steht, wiederzubeleben. Die Beschäftigung mit ihm ist nicht Selbstzweck«, betonte Schindler zur Vorstellung des Internetportals.

Bernhard Bayerlein verglich die von Münzenberg ins Leben gerufenen Hilfs- und Solidaritätsbewegungen mit den heutigen NGOs, »die allerdings bei weitem nicht so herrschaftskritisch sind wie etwa die Internationale Arbeiterhilfe«. Die IAH startete 1921 zur Linderung der großen Hungersnot in Sowjetrussland. Fünf Jahre darauf gründete Münzenberg die Liga gegen Imperialismus und für nationale Unabhängigkeit. Weitere auf ihn zurückgehende Initiativen und Kampagnen waren beispielsweise jene gegen die Todesurteile an den anarchistischen Gewerkschaftsaktivisten Sacco und Vanzetti in den USA oder zur Unterstützung Sandinos und seiner Freiheitskämpfer. »Münzenberg war auch ein Menschenrechtskämpfer«, urteilt Bayerlein.

In der Tat kann von Beschäftigungstherapie keiner reden, der einen Blick auf die Homepage wirft. Da sind bereits viel Kraft und Geist, Mühe und Fleiß investiert. Die Chronik über Leben und Werk Münzenbergs würde bereits jetzt ein Buch von über hundert Seiten füllen, informierte Uwe Sonnenberg. »Und wir sind erst am Anfang.« Die Zeittafel beginnt nicht mit der Geburt des Protagonisten, sondern mit dem Auffinden der Leiche vier Monate nach dem letzten überlieferten Lebenszeichen von Münzenberg. Sie wurde am 21. Oktober 1940 im Waldstück Le Caugnet in der Nähe des Dorfes Montagne bei Saint-Marcellin in Südfrankreich entdeckt, mit einem Seil um den Hals. Der erste Chronikeintrag stellt die verschiedenen Vermutungen zum offenkundig gewaltsamen Tod vor. Münzenbergs Lebensgefährtin Babette Gross schloss einen von der Gendarmerie seinerzeit (ohne Obduktion) behaupteten Suizid aus und vermutet einen politischen Auftragsmord.

Befragt, welcher Version sie zuneigen, hielten sich die Wissenschaftler diskret zurück. Bayerlein merkte lediglich an: »Es ist schon merkwürdig, wenn im gleichen Jahr, innerhalb

Willi Münzenberg Archiv ND
Willi Münzenberg Archiv ND

von zwei Monaten, Trotzki in Mexiko und Arkadi Maslow in Havanna sterben – und dazwischen Münzenbergs Leiche aufgefunden wird.« Alle drei galten Stalin als Erzfeinde. Die Umstände von Münzenbergs Ende werden wohl erst zu lüften sein, wenn entsprechende Akten im KGB-Archiv studiert werden können. Bayerlein erkundigte sich unlängst beim Direktor des Archivs des FSB, dem Nachfolger des KGB, nach Münzenberg. Eine schriftliche Anfrage ist unterwegs. Auf Aufklärung darf also gehofft werden.

Die auf der Internetseite gebotene beeindruckende Materialfülle wäre undenkbar ohne die »Archivrevolution« der 1990er Jahre. Diese ist allerdings wie alle Revolutionen nicht frei von Rückschlägen, so Sonnenberg. Wurden einerseits manche Archivbestände in Moskau wieder gesperrt, so hat andererseits vor zwei Monaten die oberste russische Archivverwaltung die Stalin-Korrespondenz sowie die Politbürobeschlüsse bis 1939 ins Internet gestellt, teilte Bayerlein mit. Die Redakteure des Münzenberg-Forums wollen übrigens auch ein Online-Archiv aufbauen.

Weit gediehen, aber noch längst nicht vollständig ist die Bibliografie der Publikationen über ihn sowie aller in Münzenbergs Verlagen erschienenen Zeitungen, Zeitschriften und Bücher. Eine Kärrnerarbeit! Denn die Zuordnung, beispielsweise von antifaschistischen Tarnschriften, bedarf akribischster Quellenstudien und -vergleiche. Zu Münzenbergs Presseimperium gehörten Periodika wie »Berlin am Morgen« und »Welt am Abend«, die legendäre »Arbeiter-Illustrierte-Zeitung« (A-I-Z), »Der Knüppel« und »Eulenspiegel« sowie »Der Rote Aufbau«. Sie erschienen im Neuen Deutschen Verlag, Kernstück des Mediengeflechts, das Münzenberg um die IAH aufbaute. Im Editionshaus Universum-Bücher Basel kam das berühmte »Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror« heraus, das zweite Braunbuch »Dimitroff kontra Göring« erschien in Münzenbergs Pariser Exilverlag Editions du Carrefour. Dort sind bis 1937 allein über 50 Bücher und Broschüren herausgegeben worden, darunter das »Das deutsche Volk klagt an!«, die erste Dokumentation über den Naziterror im »Dritten Reich«, aber auch Aragons »Glocken von Basel« und Malrauxs »Die Zeit der Verachtung«.

Die IT-Spezialisten und Webdesigner der Firma Keksbox haben eine übersichtliche und benutzerfreundliche Homepage gestaltet, die in den nächsten Monaten und Jahren mit weiteren linken Links bereichert werden soll. Informiert wird auch über Veranstaltungen. Zu erfahren ist beispielsweise, dass im Mai in Zwickau die Exposition »Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografie und Kunst um 1930« eröffnet wird. Apropos: Das einzige ins Auge springende Manko der Website ist deren recht bescheidene Illustrierung. Wünschenswert wäre zudem angesichts der in der Chronologie auftauchenden zahlreichen Namen, die heute kaum oder gar nicht mehr bekannt sind, eine Verlinkung zu Kurzbiografien. Das sei in der nächsten Aufbaustufe vorgesehen, versicherte Sonnenberg.

Zweifelsohne bietet bereits die momentane Zusammenstellung von Fakten, Briefen und anderen Dokumenten überraschende Erkenntnisse oder wirft zumindest neue Fragen auf. Unter »Juli 1939« findet sich der Vermerk über ein in Moskau ausgegrabenes Schreiben von Wilhelm Florin, Sekretär der Internationalen Kontrollkommission der Komintern, zu den Vorwürfen Münzenbergs: Walter Ulbricht sei von »einer gewissen Krankheit« befallen und blind gegenüber der Tätigkeit der Feinde. Das Dokument, das in einer neuen Rubrik vollständig publiziert werden soll, interpretiert Bayerlein als eine Ohrfeige für Ulbricht und möglichen Hinweis darauf, dass dessen Zeit abgelaufen war. Wer oder was hat ihn dann gerettet? Der sogenannte Hitler-Stalin-Pakt? Dieser war zweifellos verantwortlich für eine De-Internationalisierung in der kommunistischen Bewegung, die für Bayerlein indes schon 1935 begann und als deren Indizien er u. a. die Auflösung der IAH interpretiert – »ein bisher in der Historiographie wenig beachteter, neuralgischer Punkt«. Nach Ansicht des Bochumer Kommunismusforschers hätte gerade die IAH die damals propagierte antifaschistische Volksfront befördern und bestärken können. Die Internationale Rote Hilfe, »das Konkurrenzunternehmen unter dem Diktat der Komintern«, hätte dies nicht zu leisten vermocht, fügte Sonnenberg hinzu.

1933 gründete Münzenberg in Paris das Welthilfskomitee für die Opfer des Hitlerfaschismus, das im Jahr darauf mit anderen Initiativen zum Internationalen Komitee zum Schutz der politischen Gefangenen im faschistischen Deutschland fusionierte. Auch die Kampagne zur Freilassung des KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann wurde maßgeblich von Münzenberg vorangetrieben. Als dieser nicht mehr der KPD angehörte (er kam 1939 seinem Rauswurf durch Austritt zuvor), konzentriert er sich auf die Sammlung aller Demokraten, Frauen und Männer gegen Hitler und den Ausbruch eines neuen Weltkrieges. Um die Zeitschrift »Zukunft« und die Freunde der Sozialistischen Einheit Deutschlands – »Der Name wurde von Ulbricht für die SED usurpiert« (Bayerlein) – schmiedete er ein Bündnis von unabhängigen Sozialisten über Linkskatholiken bis hin zum konservativen Widerstand.

»Ich weiß nicht, wie dieser Mann das alles geschafft hat und trotz herber Enttäuschungen und böswilliger Angriffe nie aufgab«, zollte Bayerlein zum Abschluss des Abends in fast familiärer Atmosphäre Willi Münzenberg Respekt.

www.münzenbergforum.de

Referenten

Dr. Bernhard H. Bayerlein

Uwe Sonnenberg

Location

Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Franz -Mehring-Platz 1 D-10243 Berlin