Eintritt in den Arbeiterbildungsverein „Propaganda“

Sommer 1906
chronik  

Verein PropagandaErfurt: MÜNZENBERG tritt dem sozialdemokratischen Arbeiterbildungsverein „Propaganda“ bei. Ein Jahr später übernimmt er dessen Leitung. Infolge seines Werbens und im Zuge einer allgemeinen Aufschwungphase für Bildungsvereine strömen viele jugendliche Arbeiter in den Verein. Er wird zur Keimzelle der ersten sozialistischen Jugendorganisation Erfurts.

Las er zuvor vornehmlich Indianer- und Räuberhauptmann-Hefte, so wird die Mitarbeit im Bildungsverein „Propaganda“ zu einem Erweckungserlebnis. Das autodidaktische, arbeiterintellektuelle Sich-Selbst-Bilden, das Leben mit Literatur wie auch die Inhalte, Funktionen und Aufgaben der Propaganda werden zentrale Lebensinhalte MÜNZENBERGs. Später schreibt er über seine frühe Zeit in der sozialistischen Arbeiterbewegung:

„Nun stürzte ich mich voller Eifer auf die sozialistische Literatur. […] Ich las viel, ohne jede Ordnung und ohne System, die ‚Welträtsel‘ von Haeckel, Bücher von Forel, Darwin, die Reden von Ferdinand Lassalle, Engels´ ‚Lage der arbeitenden Klasse in England‘, Gedichte von Freiligrath, Herwegh und Heine. Weil die Abendstunden nicht ausreichten, um meinen Lesehunger zu befriedigen, meldete ich mich im Betrieb krank und begann mehrere Wochen ‚Weltgeschichte‘ zu studieren. […] Das Leben hatte plötzlich einen anderen, neuen Inhalt bekommen. Der Lohn war nicht gestiegen, der Hunger nicht kleiner, trotzdem schien das Leben reicher und sonniger. Jedes neue Buch war ein Erlebnis, jedes neue Wissen erweckte ein bisher unbekanntes Kraftgefühl, das Dasein war nicht mehr hoffnungslos, wir fühlten, daß es eine Erlösung aus dem täglichen Grau und Einerlei des trüben Fabriklebens geben mußte.“