Nehmt Scheren! Dreht Filme!
…sagte sich die mehrfach preisgekrönte Filmemacherin Katrin Rothe und stürzte sich 2018 in ein neues Abenteuer. Nach Betongold – wie die Finanzkrise in mein Wohnzimmer kam – für den sie den Grimme-Preis erhielt – und 1917 – der wahre Oktober, ein Film über John Heartfield. Wen sollte das interessieren? Scherenkünstler? Kann heute jeder. Kommunist! Nicht en vogue. Nach 1945 DDR. Falsche Entscheidung. Oft nur noch Insidern bekannt. Zeitgenossen? Längst verstorben. Höchstens Archivmaterial. Auf jedem Fall ein Gegenstand mit viel Erklärungsbedarf.
Gut, die Akademie der Künste zeigte in der Pandemie-Zeit in Berlin am Pariser Platz eine umfangreiche Ausstellung. Immerhin verwaltet sie im Ergebnis der Vereinigung den Nachlass Heartfields und damit eine große Sammlung. Die Präsentation allerdings sehr museal. Dramatik der Entstehungszeit? Wirkmächtigkeit politischer Propaganda? Innovation in der künstlerischen Form? Schwer zu finden. Arbeitsweise? Fehlanzeige. Der Katalog entschädigt ein wenig.
Filme machen, noch dazu politische, ist für die meisten Künstler:innen nicht nur eine enorme künstlerische Herausforderung, sondern zunächst vor allem eine der Sicherung der Finanzierung. Von Mitarbeiter:innen, Material und eigenem Lebensunterhalt. Ungeachtet vieler unterschiedlicher Fördertöpfe bedarf es hohen Enthusiasmus in der Überzeugung von Gremien. Das heißt Klinken putzen und Förderer sammeln. Denn selten reicht das Geld einer Institution. Zum Glück hat Katrin Rothe dank ihrer langjährigen Filmarbeit zahlreiche Kontakte. Und sie blieb zäh. Am Ende ist es gelungen, Unterstützer:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zusammenzuführen, um die lange Wegstrecke einer Filmproduktion und ihrer Präsentation zu bestreiten.
Am FMP1 hat Katrin Rothe seit zwei Jahrzenten ein Büro. Mal mehr, mal weniger genutzt. An diesen war sie gezogen, als das Haus des Lehrers Anfang der 2000er Jahre saniert wurde und viele der damals jungen Künstler:innen den gerade gesicherten FMP1 neu belebten und damit zu seiner heutigen Attraktivität beitrugen. In Zeiten, als FMP1 noch unsaniert war und auf den Berliner Immobilienmarkt kein Cent verwettet wurde.
Nun ein Projekt, das größeren Raum brauchte. Für Produktion und Management. Was lag näher, als dass dieser im Umfeld des Münzenberg Forum zur Verfügung gestellt wurde. Arbeitete dieser Heartfield doch seit 1927 für die AIZ. Prägte fortan mit seinen Collagen ihr Gesicht. Selbst über 1933 hinaus. Bis zu ihrem Ende. Also auch selbstverständlich, dass das Forum die Arbeit mit seinen Möglichkeiten beförderte.
Nun, am 12.06.2023 erlebte der fertige Film mit dem Titel Johnny&Me seine Weltpremiere. In Annecy. Auf dem größten Animationsfilm-Festival Europas. Im Wettbewerb, der Lang-Filme. Allein diese Einladung eine Auszeichnung. Aufgeführt vor sachkundigem Publikum, unter das sich zu mischen der Autor Gelegenheit hatte. Die Aufregung war der Regisseurin, den Vertreter:innen aus den drei Produktionsländern und den weitgereisten Mitabeiter:innen anzumerken. Dann wird der Saal dunkel.
Es beginnt kein übliches Biopic. Dann und dann, dort und dort geboren. Elternhaus, Schule, Ausbildung usw. bis zum unvermeidlichen Tod. Das liegt allein schon an der künstlerischen Form. Diese verbindet Real- und Animationsfilm. Auf der Ebene des Realen bewegt sich heute und ganz heutig eine junge Graphikerin. In einer persönlichen Krise auf der Suche nach Antworten zu ihrer Arbeit und ihren Wirkungsmöglichkeiten. Oben genannte Akademie-Ausstellung zieht sie in den Dialog mit einem im Stil seiner Arbeiten – animierten – John Heartfield. Über Motivation, Engagement, Courage, Arbeitsweise, Erfolge und Niederlagen.
Ausgangs- und Kristallisationspunkt ist die wenig bekannte Akte der Zentralen Parteikontrollkommission der SED. Es ist 1950. In den kommunistischen Parteien des Ostens setzt eine neue Säuberungswelle ein. Im Mittelpunkt die sogenannte Noel-Field-Affäre. Es reicht, dass Heartfield Personen aus dessen Umfeld kannte und von diesen in den schweren Zeiten seines Exils in England unterstützt wurde. Dies lässt den Westemigranten für die Hüter der Reinheit der Partei gleich doppelt verdächtig erscheinen. Gern hätten sie seine Rückkehr verhindert. Doch zu bekannt ist der politische Künstler. Wenn schon Einreise, dann Überprüfung, Zweifel säen und Verhinderung eines Amtes. Ein Beschluss über die Einziehung der zum Zeitpunkt gültigen Parteidokumente macht es möglich, den kurz nach der Gründung der KPD dieser beigetretenen Heartfield kurzerhand seiner Mitgliedschaft zu berauben. Er bekommt einfach – wie hundertausend andere – kein neues Dokument und ist raus. Das zerreißt und zerstört den politisch engagierten Künstler, der vor den Faschisten fliehen musste und trotz existentieller Bedrohung für seine Überzeugung auch im Exil weiterkämpfenden fast.
Für den Zuschauer, der die DDR, ihre Strukturen kannte und das Land trotzdem bejahte, ist das beklemmend. Auch und gerade deshalb, weil er gerade von dieser Generation Heartfield seine politischen Überzeugungen ableitete. Für diejenigen, die Nachgeboren sind oder völlig anders sozialisiert, mag Ungläubigkeit oder Unverständnis dominieren. Das könnte deren Zugang erschweren. Dem begegnet Rothe mit der Leichtigkeit in den Bewegungen ihrer collagierten Figuren, deren Bewegungen auch in den ernsthaftesten Situationen zum Schmunzeln anregen.
Doch zurück zum Film. Im Kontext der Akte vollzieht er – animiert – wichtige Lebensstationen Heartfields nach, zeigt ihn zusammen mit Gefährten, Freunden, darunter George Grosz, Bertolt Brecht, Kurt Tucholsky sowie Helene Rado und vor allem mit seinem Bruder Wieland Herzfelde. Und er dokumentiert in seiner Gestaltung die Arbeitsweise Heartfields. Schere, Bild, Ausschneiden, Konzentration auf das Wesentliche. Fertig ist die Collage. Hier das Filmbild. Dort das Heartfieldsche Plakat.
Aus der Produktionsphase weiß der Autor, dass jedes einzelne, der sich später bewegenden und zusammenschiebenden Bilder genauso einzeln aufgenommen wurde. Stop motion! Eine Sisyphusarbeit. Wie einst das montieren der Collagen. Hier ist der Film aus seiner Sicht am dichtesten bei Heartfield.
Im Kino wird es wieder hell. Beifall und Erleichterung bei den Macher:innen. Katrin Rothe hat sich mit der Technik Heartfields diesem genähert. Und im Titel `Johnny&Me` spiegelt sich nicht nur die junge Filmpartnerin, sondern auch Katrin Rothe. Leider ist am Ende der erhoffte Preis ausgeblieben.
Es wird noch eine Weile dauern, bis der Film nach Deutschland kommt, hoffentlich schon im Herbst. Insofern bleibt eine Leerstelle im diesjährigen Sommer des Hofkinos am FMP1. Seine Aufführung holen wir dann auch in geschlossenen Räumen nach.
matthias schindler