Kongresstag 1: „Fühle mich dem Erbe Münzenbergs nah“
Beim Ersten Internationalen Willi-Münzenberg-Kongress ist der Name Programm. Mithilfe von Simultanübersetzungen stellten am ersten Kongresstag angelsächsische, französische und osteuropäische Wissenschaftler ihre Forschungen zu Arbeiterbewegungen aus verschiedenen Teilen Europas vor dem Zweiten Weltkrieg vor.
Für Bernhard Bayerlein, Historiker und Mitorganisator des Kongresses, ist die transnationale Perspektive unerlässlich. Das „kombinatorische Genie“ Münzenberg habe Politik und Medien immer in globaler Weise zusammen zu führen versucht – und sei damit durchaus ein Vorbild für das 21. Jahrhundert. Eine Renationalisierung dürfe es angesichts der Probleme der Welt wie aktuell der Flüchtlingskrise nicht mehr geben. Natürlich dürfe man aber keine neuen „Heroen, Supermänner und -frauen“ erfinden, betonte Stefan Berger (Ruhr-Universität Bochum) in seinem verlesenen Grußwort.
Bei den Vorträgen wurden Gemeinsamkeiten der proträtierten solidarischen Bewegungen deutlich. Sie dachten und handelten global – weit vor dem heute abgenutzten Schlagwort der Globalisierung,
Einen Kongress mit Merchandise-Artikeln ausstatten? Münzenberg persönlich forcierte entsprechende Postkarten, so dass die Versammlung besser öffentliche Verbreitung fand. Internationale Teilnehmer? Bei den „World Kongressen“ der Arbeiter in den 1920 und 1930er Jahren nahmen neben den üblichen westlichen Vertretern zum Beispiel Ägypter und Chinesen teil. Die Internationale Arbeiterhilfe (IAH) plakatierte mit dem Slogan „Helft China, übt Solidarität“ in deutschen Städten. Reisen zu Streikunterstützung wurden organisiert, sowie Sexualunterricht als auch Abtreibungshilfe für Frauen.
Die Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse sollte die Identität der Menschen ausmachen anstelle nationaler und ethischer Herkunft. Münzenberg war überzeugt, dass Arbeiter, die internationale Solidarität erfuhren, dann auch revolutionär handeln würden.
Dass sich „Radikale Solidarität“ dabei auch ohne die offizielle Kommunistischen Parteien entwickelte, zeigte die slowenische Forscherin Ksenija Horvat am Beispiel der osteuropäischen Frauen auf, die als Freiwillige auf seitens der Republikaner in den Spanischen Bürgerkrieg zogen. Mehr als politische Ideologie sei es die „Compassion for the suffering of the others“, die Identifikation mit Spanien gewesen, die die Frauen motivierte.
Für den Höhepunkt am ersten Kongressabend sorge schließlich Bodo Ramelow. Der thüringische Ministerpräsident (DIE LINKE) sollte über den „politischen Realismus in schwierigen Zeiten“ reden – angesichts der akuten Flüchtlingskrise hatte Ramelow (leider) genug Themenmaterial. Aufgrund des großen Einwohnerverlustes Thüringens seit der Wende stünden viele Wohnungen frei und dank der überwältigenden Hilfsbereitschaft der Bürger habe man die ersten Flüchtlingswellen bewältigen können. Um sich um die nächsten zweitausend und noch mehr humanitär zu kümmern,brauche es aber nun dringend finanzielle Hilfe von Bund. Er habe in einer „Messe vor 10 Kindern ohne Eltern“ gestanden, aber die Bundesregierung gebe nicht mal „eine Bratwurst“, beklagte sich Ramelow über Finanzminister Schäuble. Für den Satz „Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge“ bekam er donnernden Applaus vom Publikum.
„Ich fühle mich dem Erbe Münzenbergs nah“, so Ramelow, denn der habe immer nach neuen Lösungen für schwierige Probleme gesucht. Genau das sei gerade auch seine Aufgabe als Ministerpräsident.
Morgen beginnt der Münzenberg-Kongress bereits um 9. Uhr. Kommen lohnt sich allerdings, da seltene Fotos und Filme der Arbeiterbewegung vor dem zweiten Weltkrieg im Mittelpunkt stehen.
Maximilian Staude