Kongresstag 4: Geschichte und Gegenwart

23. September 2015

UnbenanntDer letzte Tag des Kongresses widmete sich dem berühmten Werk „Ästhetik des Widerstandes“ von Peter Weiss. Der ab 1975 in mehreren Teilen veröffentlichte Roman plädierte, wie Dozent Detlef Siegfried sagte, für einen „Sozialismus von unten“. Weiss‘ Beschreibungen des antifaschistischen Wiederstandes halfen den jungen Linken in der Bundesrepublik, ihr Verhältnis zum Marxismus zu entkrampfen, so Siegfried. Auch diejenigen der älteren Linken, die sich in den 1930er Jahren von der KPD distanziert hatten, sahen ihr damaliges Engagement nun endlich gewürdigt.

Aber warum setzte dieser Reflexionsprozess erst so spät ein? Schließlich waren die Verbrechen des Stalinismus schon seit den 1960er Jahren in Büchern offen gelegt worden. Laut Siegfried lag dies unter anderem an dem Bestreben der älteren Linken, in der BRD politisch aktions- und handlungsfähig zu sein. Daher habe man zum Beispiel in maoistischen Gruppen mitgearbeitet und die dort herrschenden Kritiklosigkeit eine Zeit lang in Kauf genommen.

Wortgewaltig zog dann im großen Panel des Tages Camilio Bustillo (New Mexico, USA) Linien zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Erforschung der lateinamerikanischen Abteilung der „League against Imperialismus“ biete nicht nur die Chance, die Geschichte des Antikolonialismus aus einer nicht-europäischen Sichtweise zu erzählen. Man sollte auch fragen, was die heutigen linken Bewegungen in Südamerika von ihren Vorgängern als Vermächtnis annehmen könnten.

Bustillo, der, wenn Not am Mann war, für den Kongress spanisch-englisch übersetzte, wies auf die kommenden Protestkundgebungen zur Flüchtlingsfrage in New York hin.* Die Parallelen von europäischer und USA-südamerikanischer Flüchtlingskrisen lägen für ihn auf der Hand. „Wenn wir in den nächsten Tagen in New York auf der Straße stehen, dann tun wir dies auch in Solidarität mit den Geflüchteten bei Euch“, rief er unter Applaus in die Runde.

Passend dazu las Bustillo ein Gedicht von Juan Antonio Corretjer vor. Der Schriftsteller aus Puerto-Rico schildert darin seine Gefühle, als er im März 1929 an einer Straßenecke in New York eine Demonstration der LAI beobachtete – und daraufhin beschloss. politischer Aktivist zu werden.

Anschließend zeigte Kim Christians auf, wie während des Kalten Krieges vietnamesische oder chilenische Aktivisten Europa besuchten und die dabei gewonnenen Eindrücke ihre politische Arbeit beeinflussten. Es war die wechselhafte Geschichte von Krieg und Frieden, die Transformationen von Diktatur in Demokratie, so Christians, die Menschen aus anderen Erdteilen an Europa so faszinierte.

Christoph Jünke berichtet über die fast vollkommen vergessene Geschichte der Inteationalen Gesellschaft für Sozialistische Studien (ISSS, 1956-1960). Von dem britischen Politiker George Cole bewusst als Nicht-Partei begründet, entwickelte sich insbesondere in der deutschen Sektion ein reger intellektueller Ausstauch über ein „Neues Verständnis vom Weltsozialismus“ (Cole). Aufgrund verschiedener innerer und äußere Probleme schlief die ISSS allerdings bald ein.

Ganz aktuelle Formen von „Radikaler Solidarität“ widmete sich der abschließende Vortrag von Christina Flesher Fominaya. Sie erforscht die Protestbewegungen gegen die Austeritätspolitik der Europäischen Union in Ländern wie Spanien oder Irland. Zentrale Probleme all dieser „Movements“ sind, so Fominaya, zum einen das Erreichen von noch Nicht-Überzeugten. Zum anderen müsse man auch das Grundnarrativ „Ihr habt über eure Verhältnisse gelebt“ dekonstruieren könne. Außerdem zeige gerade Spanien, dass der Übergang von einer sozialen Bewegung in eine Partei, die dann bei den Wahlen gewinnt, nicht mit einer totalen Verwässerung der ursprünglichen Ziele einhergehen muss. „Politik ist zu wichtig, um sie den Politikern zu überlassen“, stellte sie fest.

Zum Abschluss stellten die Organisatoren Bernhard Bayerlein, Uwe Sonnenberg und Kasper Braskén eine Aufruf über die Zukunft des Münzenbergs-Forums vor. Zuletzt dankten sie allen Teilnehmern und Helfern des Kongresses. Besonderen Dank gebührte den Simultan-Dolmetschern, die vier Tage lang teils komplexe Vorträge bewältigen mussten. Ohne sie wäre eine solch transnationale Konferenz nicht möglich gewesen.