Das Projektteam im Interview
Ab 29.09. zeigen wir euch in direkter Folge zwei Ausstellungen mit den Titeln `ALLES IN SCHÖNSTER ORDNUNG` (29.09.-30.10.) und `MONTAGE_16` (01.11.-18.12.). Drei künstlerische Wettbewerbe und zwei Ausstellungen des MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1, das ist allerhand. Heute kommt das Projektteam, Dr. Matthias Schindler, Mathias Nehls und Jenny Schindler für euch zu Wort. Sie berichten euch von der Idee und den Hintergründen der bevorstehenden Ausstellungen und der Wettbewerbe. Dafür haben wir ein Interview für euch vorbereitet.
Projektteam im Interview
Zwei Ausstellungen, sperrige, uneindeutige Titel und als Ausstellungsort ein Bürogebäude. Passt das alles zusammen?
Matthias Schindler: Das wird sich zeigen. Der Ausstellungsort hat sich jedenfalls bereits bewährt. FMP1 hat ein großzügiges, offenes Foyer und in der 1. Etage ein Tagungszentrum mit vielfältig nutzbaren Wandflächen. Wir haben beides in den letzten Jahren für eine rege Ausstellungstätigkeit genutzt. 2012 hat sich FMP1 erstmalig am Europäischen Monat der Fotografie mit der Arbeit des Fotografen Arwed Messmer `Fruchtstraße März 1952` beteiligt – eine 26 Meter lange Montage aus einer Foto-Dokumentation dieser Straße zwischen Karl-Marx-Allee und Ostbahnhof wenige Jahre nach dem 2. Weltkrieg. Die Spannung ergab sich aus dem Umstand, dass die Ansicht der 1971 in Straße der Pariser Kommune umbenannten Fruchtstraße gezeigt wurde, die sich 1952 für den Betrachter vom Foyer des Gebäudes aus gezeigt hätte. Das hat viele Besucher angelockt und war dann eigentlich die Initialzündung für ein kontinuierliches öffentlich zugängliches Angebot vielfältiger Ausstellungen.
Kann man im Rückblick auf die letzten Jahre Schwerpunkte benennen?
Matthias Schindler: Wenn ich das in drei Schlagworten zusammenfasse, dann vielleicht Montage, Bilder und eine intensive Auseinandersetzung mit historischen Ereignissen im Kontext aktueller Entwicklungen. So haben die jeweiligen Organisatoren – das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1, die Rosa Luxemburg Stiftung oder die Tageszeitung `neues deutschland´ – ihre jeweiligen Ausstellungen in das Spannungsfeld der geteilten Geschichte des Ausstellungsortes FMP1 gesetzt.
Wie kann man das verstehen?
Jenny Schindler: Das lässt sich vielleicht am besten an einem Beispiel verdeutlichen. 2015 gab es unter dem Titel ´DER STÜRMISCHE HERBST 1989` zunächst eine Ausstellung mit Collagen der am Tag des Erscheinens durch Zeichnungen und Aussagen in ihrer Realitätsverleugnung kommentierten Titelseiten von `Neues Deutschland` aus dem Herbst 1989. Unmittelbar daran schloss sich eine multimediale, dissonante Collage aus originalen Bildern, Filmen, Texten und Tönen aus dem Herbst 1989 an. So wurde das, was damals außerhalb des Hauses geschah, in dieses hinein geholt und in Konfrontation zur seinerzeitigen Situation gesetzt. Parallel dazu gab es unterschiedliche Diskussionsveranstaltungen. Ähnlich sind die einzelnen Organisatoren auch bei anderen Projekten vorgegangen. Wir montieren Zeitdokumente und wollen so – hoffentlich – einen Auseinandersetzung und Diskussion anregenden Blick auf historische und aktuelle Ereignisse ermöglichen.
Montage als Arbeitsprinzip?
Mathias Nehls: Könnte man so sagen. Wobei hier verschiedene Aspekte ineinander greifen. Zum einen sind da widersprüchliche, unterschiedliche Sichten auf Ereignisse, die gegeneinander gesetzt werden. Bekanntes wird gezeigt, anders zusammengesetzt und mit neueren Erkenntnissen konfrontiert. Gleichzeitig wird sichtbar, dass wegen Leerstellen Fragen offen bleiben. Letztlich ist das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 als einer der Ausstellungsmacher eigentlich selbst eine Montage aus der Rosa Luxemburg Stiftung, der Tageszeitung `neues deutschland´, der Linken Medienakademie, dem FMP1 und andern Einzelakteuren. Also deren gemeinsame Plattform.
Warum MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1?
Mathias Nehls: Namensgeber ist Willi Münzenberg (1889-1940). In seiner Person und seinem Verschwinden aus dem kollektiven Gedächtnis bricht sich exemplarisch die ganze Widersprüchlichkeit der linken Bewegung der letzten einhundert Jahre. Gleichzeitig steht Willi Münzenberg für die größte internationale Solidaritätsorganisation der Zeit – die Internationale Arbeiterhilfe -, für die Verknüpfung von Massenpropaganda, Massenpublikationen, Aufklärung und deren Verbindung mit künstlerischer und wissenschaftlicher Avantgarde seiner Zeit. Das umschreibt im besten Sinn ein Programm, dem wir uns am FMP1 verpflichtet fühlen.
Der Titel Montage_ 16 lässt sich vielleicht schon mit dem beschriebenen Arbeitsprinzip übersetzen?
Matthias Schindler: Hinter dem Titel Montage_16 verbirgt sich zunächst eine Ausstellung mit Werken von John Heartfield und George Grosz aus der Zeit bis Anfang der dreißiger Jahre. Unmittelbarer Anlass ist die im Frühjahr 1916 mit einer Montage beginnende Zusammenarbeit beider Künstler. Leider ist nicht überliefert, um welche Montage es sich handelte. Zum anderen montieren wir die Arbeiten dieser beiden politischen Künstler im Kontext der Arbeit des MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1. Und zum dritten begleiten wir die Schau mit zwei weiteren Ausstellungen mit Arbeiten von Schüler_innen der Ellen-Key-Schule zum Thema Collage und den Einsendungen von jungen Künstler_innen zu dem Wettbewerb `Montage_16/100 Jahre später` sowie einer gesonderten Veranstaltungsreihe.
Warum gerade Heartfield und Grosz?
Jenny Schindler: Beide haben gemeinsam oder allein die auch heute noch unverkennbare Ästhetik der Publikationen der Münzenberg Verlage und seiner politischen Arbeit geprägt. Die Bedeutung der ArbeiterIllustriertenZeitung (AIZ) Ende der zwanziger/Anfang der dreißiger Jahre ist ohne Heartfield nicht denkbar. Sie sind es, die deren Nachhall bis heute prägen. Das trifft auch auf vielfältige Arbeiten für Buchumschläge, Plakate und Bühnenbilder zu. In diesem Fall überschneiden sich die Lebenswege und Tätigkeiten dreier unabhängiger Persönlichkeiten. Sie eint von unterschiedlichen Standpunkten und unter Einsatz völlig unterschiedlicher Mittel in ihrer jeweiligen Arbeit der Wille die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse schonungslos zu destruieren und gleichzeitig auf deren Veränderung zu wirken. Aber erst in der Summe erreichen sie die Wirkung in ihrer Zeit. Dem trägt auch die Ausstellung Rechnung, indem sie Schnittstellen, Vorgeschichten und parallele Kunstproduktionen beider Künstler bis zu jenem Zeitpunkt, da alle drei das Land ihrer Tätigkeit wegen der ihr Leben gefährdenden Verhältnisse verlassen müssen, in den Zusammenhang setzt.
Die Ausstellung trägt noch den Untertitel `Nehmt Zeitungen, nehmt Scheren..`?
Matthias Schindler: Das ist der Anfang eines Gedichtes von Tristan Tzara, einem der ersten Protagonisten aus dem DADA-Cabaret Voltaire in Zürich. Während Heartfield/Grosz ihre erste Montage erfanden, zerschnitt man in Zürich bereits seit Februar 1916 Abend für Abend auf der Bühne das herrschende Kunstbild. Mit Huelsenbeck, Hausmann und Höch veranstalteten Heartfield/Grosz dann 1920 die 1. DADA-Messe in Berlin. Wer den Versuch der Rekonstruktion des damaligen Ausstellungsraumes in unserer Ausstellung sieht, wird Zeuge dieser Lust am Zerschneiden und neu Zusammensetzen. Für den MonteurDada Heartfield charakterisiert der Untertitel wahrscheinlich am prägnantesten seine gesamte künstlerische Arbeit. Ich will aber auch nicht verleugnen, dass ein solcher Aufruf gerade in einem Gebäude, in dem auch eine Tageszeitung und andere Publikationen produziert werden, noch eine Brücke in die Gegenwart schlägt.
Was aber soll `Alles in schönster Ordnung` bedeuten?
Mathias Nehls: Das ist zunächst der Titel einer Montage von John Heartfield zur Weltwirtschaftskonferenz in London aus dem Frühsommer 1933. Wer sich die weltpolitische und weltwirtschaftliche Situation zu diesem Zeitpunkt vergegenwärtigt, wird unabhängig von ihrer Gestaltung bereits den Titel für absurd halten. Nichts ist zu diesem Zeitpunkt in schönster Ordnung. Das zeigt auch die Collage. Das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 hat mit diesem Titel nun einen Fotowettbewerb sowie einen gesonderten Filmwettbewerb zur Lage in Europa im Jahr 2016 ausgelobt. Die Ausstellung wird die unterschiedlichen und unabhängig voneinander eingesandten Arbeiten zeigen. Jedes einzelne Bild zeigt einen spezifischen Ausschnitt des Heute, gemeinsam ergeben sie ein neues, eigenständiges, aber eben auch unvollständiges Bild. Im besten Fall entstehen im Kopf der Betrachter neue Bilder. Gleiche Hoffnungen verbinden wir mit dem Filmwettbewerb.
Ein solches Bild hätten die Ausstellungsmacher doch auch aus der Vielzahl von Veröffentlichungen selbst erstellen können. Warum einen Wettbewerb?
Jenny Schindler: Sicherlich, allein die Vielzahl der Fotos auf den Titelseiten der Tageszeitung `neues deutschland` aus dem letzten Jahr hätten ausreichend Stoff geboten. Wir wollten jedoch mehrere Dinge miteinander verbinden. Erstens ging es uns nicht nur um die Sicht von Pressefotografen. Wir wollten auch anderen professionellen und semiprofessionellen Fotografen Platz zur Ausstellung einräumen. Darüber hinaus ging es uns nicht um unsere Sicht durch Auswahl, sondern um das, das sich aus den Sichten der Teilnehmer ergeben könnte. Das wollten wir mit der Ausstellung zur Diskussion stellen. Und drittens knüpf das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP 1 mit dem Wettbewerb an Traditionen der AIZ und der Arbeiterfotografie mit ihrem Aufruf `Benütze Foto als Waffe` an. Dieser richtete sich ja gerade an jene, deren Bilder vom damaligen Alltag keine Chance hatten, in Tageszeitungen oder Illustrierte zu kommen. Dafür war der thematische Wettbewerb aus unserer Sicht eine geeignete Form. Jeder kann sich nun ab 29.09. vom Ergebnis sein Bild machen.
… und parallel noch ein Wettbewerb für Filme?
Mathias Nehls: Ja. Hier lagen die Gründe ähnlich. Wir hatten bereits letztes Jahr im Rahmen des 1. Internationalen Willi Münzenberg Kongresses Student_innen der Filmhochschule Babelsberg mit aktuellen Arbeiten zu Fluchtbewegungen, Pegida und Krisen in Europa eingeladen und diese außerhalb der eigentlichen Ausbildung entstandenen Filme dotiert. Das Ganze haben wir dann den `Erobert den Film`-Preis genannt. Münzenberg hatte 1925 einen Artikel unter dieser Überschrift veröffentlicht, mit Prometheus-Film/Meshrabpom auch Taten folgen lassen und so den ersten proletarischen Film-`Konzern` etabliert. Der Preis ist die Referenz daran. Und Bewegtbild und Foto gehören aus unserer Sicht heute wie damals zusammen. Die technischen Möglichkeiten sind dafür heute ungleich bessere. Es geht jedoch um ihre Nutzung. Die Einsendungen zum Wettbewerb kann man parallel zur Fotoausstellung im Foyer des FMP1 sehen.
Wettbewerbe haben im besten Fall Preisträger. Wie werden diese prämiert?
Mathias Nehls Das MÜNZENBERG FORUM BERLIN im FMP1 hat für beide Wettbewerbe jeweils eine Gesamtpreissumme von 5.000 € ausgelobt. Wie sich diese auf die Preisträger verteilt, entscheidet eine unabhängige Jury aus Fotografen bzw. Filmexperten. Die Preisverleihung für die Fotografie findet am 11.10., 19.00 Uhr, im Münzenbergsaal und die für die Filme am 18.10., ebenfalls 19.00 Uhr, an gleicher Stelle statt. Angesichts der viel beschworenen `Krise der europäischen Idee` und der Tatsache, dass es Linke waren, zu denen übrigens auch Münzenberg mit seiner Zeitschrift `Die Zukunft` aus dem Pariser Exil gehörte, die mitten im 2. Weltkrieg die `Europäische Idee` auf die Tagesordnung setzten, waren wir der Auffassung, dass es an der Zeit ist, dieser Idee von Links neue Impulse zu geben. Gastredner Gregor Gysi wird sich mit dieser Frage auf der Preisverleihung am 11.10. unter dem Titel `Alles in schönster Ordnung` auseinandersetzen.