Das Braunbuch und die Editions du Carrefour

01. August 1933
chronik  

In ihrer Ausgabe vom Oktober 1933 zog die linkssozialistische Schweizer Zeitschrift „Information“ eine erste Bilanz der deutschen Emigrationspresse. Dort findet sich der Satz „Der Konzern um den ehemaligen Berliner ‚Neuen Deutschen Verlag‘ war als erster im Ausland zur Stelle“. Der „Neue Deutsche Verlag“ (NDV), der Kern des sogenannten „Münzenberg-Konzern“ war schon im Januar 1933 von der Polizei besetzt und Ende Februar geschlossen worden. Alle Publikationsorgane des riesigen Unternehmens waren verboten, das weitläufige Vertriebssystem in Deutschland zerschlagen worden. Von einer Verlagerung ins Ausland kann im eigentlichen Sinne keine Rede sein, aber die Bemerkung der „In-formation“ kann metaphorisch dafür stehen, dass es Willi Münzenberg unmittelbar nach seiner Ankunft in Frankreich gelungen war, seine verlegerische Tätigkeit fortzusetzen. Den Nazis knapp entronnen, begann er sofort mit Hilfe seiner Lebensgefährtin Babette Gross zu prüfen, in wie weit die noch vorhandenen ausländischen Niederlassungen des NDV (in Basel, Wien und Liberec/ Reichenberg) sowie die 28 Vertriebsstellen der 1926 gegründeten KPD-nahen Buchgemeinschaft „Universum Bücherei für alle“ für seinen von der Komintern erhaltenen Auftrag, die Propaganda gegen Hitler-Deutschland zu organisieren, nutzbar gemacht werden könnten. In Paris, darüber wird noch zu reden sein, konnte Münzenberg mit den „Éditions du Carrefour“ einen Verlag übernehmen, in dem mit den beiden „Braunbüchern“ (Braunbuch I 1933 und Braunbuch II 1934) und der im Zusammenhang mit ihrem Erscheinen organisierten internationalen Informationskampagne der gewaltigste internationale Erfolg erreicht werden sollte, der der deutschen Emigration propagandistisch gegen den Hitler-Faschismus je gelang. Obgleich das Braunbuch I (Untertitel „Über Reichstagsbrand und Hitlerterror“) wohl aufgrund der eben erwähnten durch Münzenberg organisierten Kampagne allgemein den Éditions du Carrefour zugeordnet wird, scheint dort nur die französische Ausgabe erschienen zu sein; eine deutsche Ausgabe lässt sich mit dieser Verlagsangabe nicht nachweisen. Das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ erschien am 1. August 1933 in einer 1. Auflage von 25 000 Exemplaren in deutscher Sprache, der eine französische Ausgabe folgte. Obwohl weitere Ausgaben in 24 Ländern, von den USA bis Palästina, nachgewiesen sind, sei eine Gesamtauflage von 70 000, so meinte Babette Gross, nicht überschritten worden (Babette Gross, Willi Münzenberg. Eine politische Biographie. Stuttgart 1967, S.260). In der Schweiz allerdings wurde durch die dort reorganisierte „Universum Bücherei“ die deutsche Ausgabe des Buches – auch als billigere Broschur – verlegt, deren 3. Auflage den Eindruck „20 000 – 30 000“ enthält; nur diese jedoch weist den Hinweis „Copyright by Éditions du Carrefour Paris 1933“ auf. Die Schweizer Behörden hatten eine geplante Einfuhr der deutschen Carrefour-Ausgabe verboten. Auch weil, wie gesagt, in keiner Bibliothek, Archiv oder Antiquariat eine deutsche Carrefour-Ausgabe auftaucht, muss man wahrscheinlich davon ausgehen, dass die deutsche Ausgabe dieses legendären Buches nur in Basel erschienen ist. Abgesehen davon, dass dieses Braunbuch I wie auch das folgende Braunbuch II („Dimitroff contra Göring“) in der UdSSR erhältlich waren, brachte die „Verlagsgenossenschaft Ausländischer Arbeiter in der UdSSR“ für die „in der Sowjetunion lebenden deutschen Arbeiter und Spezialisten“ (so das Verlagsvorwort) eine um fast 200 Seiten gekürzte Ausgabe der in Basel erschienenen Edition heraus, in der u.a. die Kapitel über Marinus van der Lubbe und die antisemitischen Aktionen der Nazis fehlen. Die sowjetische Auflage war mit 10 000 Exemplaren angegeben.

 

Willi Münzenbergs Buchverlage im Exil. Die erfolgreichsten Verlage der Emigration.

Beiträger: Werner Abel, Esther Winkelmann, Raimund Waligora