Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografie und Kunst um 1930

23. Mai 2014 - 03. August 2014
ausstellung  

Erich Meinhold (1908-2004): Familie Stelzel (Markersbach) beim Lesen der Arbeiter Illustrierten Zeitung zum Jahrestag der Commune von Paris; rechts der Fotograf, 1931, Negativ 6 x 9 cm. Deutsche Fotothek.

Von 2009 bis 2012 sind in dem dreijährigen Forschungsprojekt „Das Auge des Arbeiters. Untersuchungen zur proletarischen Amateurfotografie der Weimarer Republik am Beispiel Sachsens“ am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden etwa 5.000 Fotografien in sächsischen Archiven und Museen erschlossen, zwei Tagungen ausgerichtet und eine Reihe von Veröffentlichungen vorgelegt worden. Die Arbeiten konzentrierten sich aufgrund der Überlieferungsbildung in der DDR auf die kommunistisch inspirierte und von Willi Münzenberg als Gründungsvorsitzender aufgebaute Vereinigung der Arbeiter-Fotografen Deutschlands.

Im Zentrum des Interesses stand vor allem das Verhältnis von privaten und öffentlichen Aufnahmen, des Eigensinns der Fotografen zur Selektion in den Hierarchien der Parteipresse, von Bildthemen und Bildformen: Der Alltag der 1920er Jahre war in einem starken Maß visuell geprägt, spezifisch aber liegt die Bedeutung der Fotografien der proletarischen Amateure darin, dass sie erstmals ihre Lebenswelt bildlich erinnern und veröffentlichen konnten. „Arbeiterfotografie“ ist eine Teilkultur in der Medienmoderne – und zugleich die einzige, die es gestattet, die Rolle des Visuellen beim „Blick von unten“ auf die Verhältnisse der Weimarer Republik zu verstehen.

Dem sind verschiedene Studien nachgegangen: etwa über die Leica-Aufnahmen des Leipzigers Fritz Böhlemann, über die Rolle von Bildern bei der Agitation um den SA-Fememord in Dresden 1932, über Fotomontagen, über das Fotografieren auf dem Lande, über deutsch-sowjetische Austauschbeziehungen, über die Musealisierung der Arbeiterfotografie. Die Publikationsliste ist veröffentlicht unter www.arbeiterfotografie-sachsen.de, wo ein Teil der Aufsätze auch als PDF-Dokument heruntergeladen werden kann.

Seit April des Jahres 2013 nun finanziert wiederum die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ein auf zwei Jahre ausgelegtes sog. „Erkenntnistransferprojekt“. Damit werden Unternehmungen bezeichnet, in denen Grundlagenforschungen in Kooperation mit Partnerinstitutionen in Anwendungen umgesetzt werden. Was bisher nur für Technik- oder Naturwissenschaften möglich war, gilt seit kurzem auch für Geisteswissenschaften: Die Ergebnisse des DFG-Projekts werden 2014 und 2015 in drei Ausstellungen zu sehen sein. Sie wird unter dem Titel „Das Auge des Arbeiters. Arbeiterfotografie und Kunst um 1930“ vom 23. Mai bis 3. August in den Kunstsammlungen Zwickau, vom 14. August bis 12. Oktober im Käthe Kollwitz Museum Köln und vom 22. März bis 28. Juni 2015 im Stadtmuseum Dresden gezeigt, dort verbunden mit einer abschließenden Tagung.

Eingespannt zwischen einen Prolog und einen Epilog gestattet die sechs Kapitel gegliederte große Menge Bildmaterials aus Dresden, Bautzen, Leipzig, Plauen und Zwickau nicht nur einen Blick auf Alltag und Arbeiterkultur der 1920er Jahre. Die Bilder werden so angeordnet, daß das Sehen der Amateure thematisiert und nachvollziehbar wird: als Wegbewegung vom rein „dokumentarischen“ hin zu einem „bildmäßigen“ Zeigen der Welt, um diese zu erklären und für ihre Veränderung zu agitieren. Außerdem werden in den drei Orten die Arbeiterfotografien unterschiedlich auf die übrigen Bildwelten der Weimarer Republik bezogen: in Zwickau auf die Malerei der Neuen Sachlichkeit, in Köln auf Zeichnungen und Grafik von Käthe Kollwitz, in Dresden auf politische und Werbe-Plakate und die „Stadt als Bild“.

Verbunden sind die Ausstellungen mit einem umfangreichen Begleitbuch, das im Spector Verlag Leipzig erscheinen wird. Es fächert in einem dutzend Aufsätzen die Thematik differenziert auf, ist ausgesprochen reich (und farbig!) illustriert und präsentiert außerdem alle Fotografien von Albert Hennig aus dessen Nachlass in den Kunstsammlungen Zwickau. Hennig hatte 1928 als arbeitsloser Bauarbeiter in Leipzig zu fotografieren begonnen, war mit einer Bildserie „Kinder der Straße“ für die sozialdemokratischen Kinderfreunde am Bauhaus in Dessau angenommen worden, nahm am Fotokurs von Walter Peterhans teil, konnte sich aber nicht als „Reklamemann“ etablieren sondern blieb bis auf eine kurze Unterbrechung als Kulturfunktionär nach dem Krieg Bauarbeiter, der nur in seiner Freizeit und dann als Rentner seinen künstlerischen Neigungen nachgehen konnte. Seine Bilder zeigen diesen Versuch des sozialen Rollenwechsels in ihrer stilistischen Breite zwischen „Sozialdokumentation“ und „Experiment“ und sind trotz ihrer Sonderstellung dadurch charakteristisch für den Weg vom „Körperhandeln“ zum „Bilderdenken“ der Arbeiterfotografen.

Location

Kunstsammlungen, Lessingstraße 1, 08058 Zwickau