Globale Räume für radikale Solidarität – Erster Internationaler Willi-Münzenberg-Kongress

17. September 2015, 13 Uhr - 20. September 2015
kongress  

So international wie an diesem langen Wochenende am Franz-Mehring-Platz in Berlin ist es bei den von Willi Münzenberg initiierten Kongressen und Treffen wohl auch zugegangen: Nordeuropäer treffen auf Franzosen, Schweizerinnen und Russen auf Amerikaner. Trafen sich damals Kommunist_innen und andere aus aller Welt, so waren es vom 17. bis 20. September 2015 vor allem Wissenschaftler_innen, die über den Kommunismus forschen, schreiben und diskutieren. Sie und andere Teilnehmer_innen waren aus 15 Ländern und drei Kontinenten angereist.

In einem strammen Programm wurden mit Simultanübersetzung insgesamt 37 Vorträge in zehn Panels geboten, zusätzlich zu einem ambitionierten Kulturprogramm, das seinen spektakulären Höhepunkt in der «Revue.Roter.Rummel» fand, die als politisches Varieté ganz in der Tradition der 1920er Jahre inszeniert, auch soziale Konflikte der Gegenwart zu benennen wusste. Darüber, was für ihn «politischer Realismus in schwierigen Zeiten» heute bedeute, referierte der Ministerpräsident Thüringens, Bodo Ramelow, in einem viel beachteten Impulsvortrag. Am Rande des Kongresses wurde erstmals auch der Preis «Erobert-den-Film» an Studierende und Lehrende der Filmuniversität Potsdam-Babelsberg verliehen.

Nach 1933 steht sein Name wie kein zweiter für eine Reihe charismatischer, antifaschistischer Aktionen. Im französischen Exil kämpft er für eine deutsche Volksfront, bevor er nach dem Stalin-Hitler-Pakt mit seinem Artikel «Der Verräter, Stalin, bist Du!» zu einem der exponiertesten Kritiker des Stalinismus wird. Zuletzt vernetzt er, erneut als Medienorganisator, jedoch unabhängig von Parteibefehlen, große Teile der deutschen und europäischen Anti-Hitlerkoalition, um den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu verhindern. Im Sommer 1940 flieht er vor der deutschen Wehrmacht aus einem südfranzösischen Internierungslager, Monate später wird seine Leiche gefunden. Keine der Thesen über seinen Tod (Selbstmord, NS- oder stalinistischer Meuchelmord) konnte bisher endgültig verifiziert werden.

Im wissenschaftlichen Kernprogramm ging es inhaltlich in der Regel in einem weiten historischen Blickwinkel um das Wirken und die Ideen von Willi Münzenberg (1889-1940), um sein Medienimperium und die Geschichte der von ihm in der Zwischenkriegszeit geknüpften internationalen Netzwerke. Neben Themen, die klassischerweise enger mit der Arbeiterbewegung verbunden werden, wie etwa internationale Solidarität, Bündnispolitik oder die Hoffnung auf die noch junge Sowjetunion, kamen ebenso weitergefasste zur Sprache. Beispielsweise gab es Beiträge zur linken Filmästhetik oder auch Debatten darüber, ob die Europavorstellungen in der Zwischenkriegszeit als positiv zu besetzende Visionen einer pluralen Linken jenseits von Stalinismus und Sozialdemokratie anzusehen seien. Vorträge zum Antikolonialismus und zur antistalinistischen Erweiterung des Antifaschismus in den 1930er Jahren rundeten das Bild ab. Einen auch räumlich weiten Fokus boten dann die Keynotes, in denen beispielsweise Holger Weiss (Turku/Finnland) global operierende gewerkschaftliche Netzwerke von Seeleuten, Hafenarbeitern und anderen Arbeiter_innen vorstellte, die heute unter dem Label eines radikalen «African» oder «Black Atlantic» erforscht werden.

Wenn die von Münzenberg geprägten Organisationen «Solidarität» propagierten, dann agierten sie, etwa durch Sammlungen von Geld- oder Sachspenden zwar immer auch mildtätig. Ihre Idee war aber eine darüber hinaus gefasste: Selbsterfahrene Solidarität sollte dazu beitragen, dass die Arbeiter_innen dadurch besser erkennen, dass revolutionäres Handeln notwendig sei, wie Kasper Braskén in seinem Vortrag über die «Internationale Arbeiterhilfe 1921–1933» ausführte. Solidarisches Handeln sei zwingend gegenseitig. Dieser Gedanke war wesentliches Element auch in Münzenbergs schon damals global ausgerichtetem Engagement. In heutigen Zeiten, in denen eine/n der Optimismus dumm, und der Pessimismus träge erscheinen lassen, könnte Münzenberg als Protagonist einer «kulturellen Internationale», eines humanitären und demokratischen Sozialismus durchaus ein Vorbild sein – so Mitorganisator Bernhard H. Bayerlein auch in Kritik allen Personenkultes.

Die kollegiale Atmosphäre, die hervorragende Logistik des Kongresses wie nicht zuletzt auch sein aufwendig ausgestalteter Tagungsort erhielten viel Lob. Die positive Resonanz sollte die Veranstalter_innen vom Münzenbergforum Berlin (getragen durch RLS, , Grundstücksgesellschaft Franz Mehring Platz 1, Tageszeitung «neues deutschland» und die Linke Medienakademie) gemeinsam zu neuen Taten ermutigen. Die Dokumentation der Tagung wird mehrgleisig auf digitaler und Printstrecke erfolgen. Die nächste Tagung des Internationalen Münzenberg-Forums unter dem Motto «Globale Räume für radikale Solidarität» soll in Asien, Afrika oder Südamerika stattfinden.

 

Das Organisationskomitee bilden Bernhard H. Bayerlein, Uwe Sonnenberg und Kasper Braskén. Sie bedanken sich für die freundliche Unterstützung von MediaService GmbH Druck und Kommunikation, der Internetagentur Keksbox, der Tageszeitung „neues deutschland“, Åbo Akademi University, Åbo (Turku); Arbejdermuseet, Kopenhagen; Institut für soziale Bewegungen, Ruhr-Universität Bochum; Maison des Sciences de l’homme, Université de Bourgogne, Dijon; Schweizerisches Sozialarchiv, Zürich; Zentrum für Zeithistorische Forschung, Potsdam.

Location

FMP1, Franz -Mehring-Platz 1 D-10243 Berlin

NEWS BOX

2. September

Die Außendekoration ist am Gebäude befestigt.

 

24. Juli 2015

Das vorläufige Kongressprogramm ist veröffentlicht

 

10. Juli 2015

Ihr findet den Kongress nun auch auf facebook als Veranstaltung.

 

20. April 2015

Save the Date: Aufruf der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit ersten Informationen zum Kongress

 

17. Februar 2015

Die Deadline für den Call for Papers ist nun abgelaufen. Wir werden die vielen Einsendungen sortieren und ein spannendes Programm erstellen. Parallel arbeiten wir fleißig am Rahmenprogramm. Lasst euch überraschen.

 

10. November 2014

Das Organisationskomitee veröffentlicht den Call for Papers für die Internationale Münzenberg Konferenz 2015

Programm

17. Sep. 2015 
13:00 Uhr

Grußworte und Eröffnung

  • Bernhard H. Bayerlein (Bochum), Uwe Sonnenberg (Potsdam) und Kasper Braskén (Åbo/Turku)
  • Florian Weis (Geschäftsführer Rosa-Luxemburg-Stiftung)
  • Tom Strohschneider (Chefredakteur der Tageszeitung neues deutschland)
  • Simone Roche (Colloque Muenzenberg, Aix-en-Provence)
  • mit Grußworten von Stefan Berger (Direktor des Instituts für soziale Bewegungen, Bochum) und Gabi Zimmer (Europaparlament, Fraktionsvorsitzende GUE/NGL)
17. Sep. 2015 
14:15 Uhr

Keynote

  • David Featherstone (Glasgow): Anti-Fascism, Anti-Colonialism and the Makings of Solidarity
17. Sep. 2015 
15:15 Uhr

Panel 1: Formen und Praxen radikaler Solidarität

  • Kasper Braskén (Turku): The International Workers‘ Relief and Willi Münzenberg: Campaigns, Practices, and Celebrations of Transnational Solidarity, 1921–1933
  • Jesper Joergensen (Kopenhagen): Radicalising Solidarity – The Danish Social Democratic Youth League and IFSYPO, 1914-1919
  • Irina A. Gordeeva (Moskau): The Russian Radical Pacifists and International Solidarity in the 1920 -1930s
  • Jean-François Fayet (Lausanne): “Hands off the URSS”: Münzenberg and the internationalisation of the commemorations of the Xth anniversary of the October Revolution.
  • Ksenija Vidmar Horvat und Avgust Lešnik (Ljubljana): Forms of Solidarity: Female volunteers in the Spanish Civil War.
  • Moderation: Tauno Saarela (Helsinki)
  • Kommentar: Gerd-Rainer Horn (Paris)
17. Sep. 2015 
17:30 Uhr

Impulsvortrag

  • Bodo Ramelow (Erfurt): Politischer Realismus in schwierigen Zeiten
17. Sep. 2015 
18:00 Uhr

Abendessen

17. Sep. 2015 
19:00 Uhr

Opening Reception

Durch das Münzenberg Forum

18. Sep. 2015 
9:00 Uhr

Panel 2: Antizipation einer kulturellen Internationalen: Medien und Presse

  • Valentin Hemberger (Stuttgart): Aus Fotografien montiert, mit Worten bebildert: Die Darstellung und Konstruktion der Sowjetunion zwischen revolutionärer Blaupause und sozialistischer Wirklichkeit in der Arbeiter-Illustrierten-Zeitung (AIZ), 1921 bis 1933.
  • Tauno Saarela (Helsinki): Itä ja Länsi – a Finnish Arbeiter-Illustrierte-Zeitung?
  • Moderation: Sonia Combe (Paris/Berlin)
18. Sep. 2015 
10:15 Uhr

Panel 3: Antizipation einer kulturellen Internationalen: Film

  • Günter Agde (Berlin): Ein Baustein zur Gründung der IAH: sowjetische Hungerfilme 1921. Politische Intentionen und Produktionshintergründe
  • Thomas Tode (Hamburg): Münzenberg und die linke Filmkultur der Weimarer Republik: Dokumentarfilme als Instrument der Propaganda
  • Christoph Hesse (Berlin): Meshrabpom greift nach dem Westen. Internationale Filmproduktionen der frühen 1930er Jahre
  • Moderation: Sonia Combe (Paris/Berlin)
  • Kommentar: Thomas Lindenberger (Potsdam) und Oksana Bulgakowa (Mainz)
18. Sep. 2015 
12:00 Uhr

Mittag

18. Sep. 2015 
13:30 Uhr

Panel 4: Antifaschismus und Antistalinismus in den 1930er Jahren (I)

  • Ole Martin Rønning (Oslo): Popular or Cultural Front? Scandinavian Intellectuals, Anti-Fascism and Stalinism 1934-39
  • Thomas Keller (Aix-en-Provence): Vom Café du Dôme zur Exilzeitschrift Die Zukunft: deutsch-französische Netzwerke vor den Kriegen
  • Moderation: Dominik Rigoll (Potsdam)
18. Sep. 2015 
15:15 Uhr

Panel 5: Antifaschismus und Antistalinismus in den 1930er Jahren (II)

  • Gerd-Rainer Horn (Paris): Midnight in the Century? The Revolutionary Socialist Tradition, 1938 – 1945
  • Rebecca Hill (Kennesaw): Fascist Structures, Fascist Minds: How Theories of Fascist Bureaucracy and Psychology Have Transformed Our Understanding of Democracy
  • Bernhard H. Bayerlein (Bochum): Der antistalinistische Paradigmenwechsel in der deutschsprachigen und europäischen Anti-Hitler-Opposition
  • Moderation: Dominik Rigoll (Potsdam)
  • Kommentar: Gleb Albert (Zürich)
18. Sep. 2015 
17:30 Uhr

Panel 6: Ein neues Deutschland! Ein neues Europa! Die Zukunft, die Deutsch-Französische Union und ihre Netzwerke (1938-1940)

  • Dieter Nelles (Bochum): „Solidarität ist jetzt das Letzte, was uns geblieben ist „. Die Gruppe „Freunde der sozialistischen Einheit“ im Lager Gurs.
  • Dieter Schiller (Berlin): Die Zukunft und die deutschen Schriftsteller im Exil.
  • Helga Grebing (Berlin): Sozialisten in Münzenbergs Zukunft.
  • Moderation: Ursula Langkau-Alex (Amsterdam)
  • Kommentar: Thomas Keller (Aix-en-Provence)
18. Sep. 2015 
19:00 Uhr

Abendbrot

18. Sep. 2015 
20:00 Uhr

REVUE.ROTER.RUMMEL "Berlin am Morgen – Die Welt am Abend"

Ein einmaliges Jahrmarktspektakel in der Tradition der Revuen der 20er Jahre präsentiert Kurt Tucholsky, Lea Streisand, Sebastian Lehmann, John Heartfield, Maik Martschinkowsky, Leo Lania, Sulaiman Masomi, Slatan Dudow, die Rixdorfer Perlen, Hans Eisler, Vivian Kanner u.v.a. mit Altem, Neuem und Skurrilem unter skrupelloser Verwendung aller Möglichkeiten von Musik, Chanson, Projektion, Film, Lesung und Gedicht Auf! Herbei, herbei! Der Eintritt ist wie immer frei.

19. Sep. 2015 
9:00 Uhr

Round Table Archives and Research Tools

  • Brigitte Studer
  • Gleb Albert
  • Sonia Combe
  • Tauno Saarela
  • Fredrik Petersson
  • Bernhard H. Bayerlein
  • Ole Martin Rønning
  • Fabian Würtz
19. Sep. 2015 
10:45 Uhr

Panel 7: Globale Akteure und kollektive Biographien

  • Victoria Soloschenko (Kiew): Christian Rakowski – Diplomat und Staatsmann als Revolutionaer und Antistalinist in der Zeitwende
  • Alexander Shubin (Moskau): Zimmerwald position in the Russian revolution
  • Andreas Peglau (Berlin): Wilhelm Reich und die „Massenpsychologie des Faschismus“: eine traurige Leerstelle in der Zukunft
  • Ursula Langkau-Alex (Amsterdam): Die Frau im Hintergrund. Babette Gross und die anderen in Münzenbergs Netzwerken der 1930er Jahre
  • Moderation: David Featherstone (Glasgow)
  • Kommentar: Brigitte Studer (Bern)
19. Sep. 2015 
13:00 Uhr

Mittag

19. Sep. 2015 
14:00 Uhr

Keynote

  • Holger Weiss (Turku): Von Westafrika in die Karibik: The Making of a Radical African Atlantic
19. Sep. 2015 
15:00 Uhr

Panel 8: Antikoloniale Bewegungen (Asien, Afrika, Amerika)

  • Santosh Pandhari Suradkar (New Delhi): Which Way to Emancipation? Caste and Class in Ambedkar’s Struggle
  • Daniel Kersffeld (Quito): Augusto C. Sandino and the Anti-Imperialist League of the Americas (AILA). Analysis of a complex political relationship
  • Fredrik Petersson (Turku): Transnational Connections and Anti-Imperial Intentions of the League against Imperialism (1927-37)
  • Klaas Stutje (Amsterdam): Posthumous solidarity with a crushed revolt. Indonesian nationalists, Willi Münzenberg and the League against Imperialism
  • Moderation: Ksenija Vidmar Horvat (Ljubljana)
  • Kommentar: Holger Weiss (Åbo/Turku)
19. Sep. 2015 
17:30 Uhr

Panel 9: Neue Erkenntnisse zu Münzenbergs Ende

  • Werner Abel (Chemnitz): Willi Münzenberg, die KPD-Abwehr und der Spanische Bürgerkrieg
  • Micheline Revet (Grenoble): Die Rätsel um Münzenbergs Tod. Eine lokale Perspektive
  • Annette Leo (Berlin): Selbstmord oder Mord? Der Umgang mit Leben und Tod von Willi Münzenberg in der DDR der 1980er Jahre
  • Moderation: Jean-François Fayet (Lausanne)
  • Kommentar: Bernhard H. Bayerlein (Bochum)
19. Sep. 2015 
19:00 Uhr

Abendbrot

19. Sep. 2015 
20:00 Uhr

Kurzfilmwettbewerb

In Kooperation mit der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf werden Kurzfilme junger Filmemacher gezeigt und gewürdigt.

20. Sep. 2015 
10:00 Uhr

Panel 10: Wirkungsgeschichten und Perspektivierungen

  • Detlef Siegfried (Kopenhagen): Schönheit ist Handlung. Zur Rezeption der „Ästhetik des Widerstands“ in den 80er Jahren
  • Camilo Pérez-Bustillo (Las Cruces): The Latin American and Latino legacy of the League Against Imperialism: What room is there today for solidarity with Mexico´s liberation struggles in the global left?
  • Kim Christiaens (Leuven): Europe at the crossroads of three worlds: international solidarity movements during the Cold War, 1950s-1980s.
  • Christoph Jünke (Hagen): Fallstricke eines neu-linken Internationalismus in schwieriger Zeit: Die Internationale Gesellschaft für Sozialistische Studien Ende der 1950er Jahre.
  • Peter Waterman (Amsterdam): Willi Münzenberg – An Enfant Terrible of International Communism (and Internationalist Communication)
  • Moderation: Rebecca Hill (Kennesaw)
  • Kommentar: Uwe Sonnenberg (Potsdam)
20. Sep. 2015 
12:30 Uhr

Mittag

20. Sep. 2015 
13:30 Uhr

Keynote und Abschlussdiskussion

  • Cristina Flesher Fominaya (Aberdeen): Contemporary resistance to crisis and austerity: some reflections on dynamics, challenges and opportunities
20. Sep. 2015 
14:30 Uhr

Abschlussdiskussion/Future: Activities of the International Willi-Muenzenberg-Forum

  • Moderation: Bernhard H. Bayerlein (Bochum), Uwe Sonnenberg (Potsdam), Kasper Braskén